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Risikomanagement im Einkauf - Brandbekämpfung oder Prophylaxe ?
"Leben bedeutet Risiko“: Was im Privaten Gültigkeit hat, gilt erst recht, und meist in größerem Umfang, im Geschäftsleben. Die Grundfrage dabei ist dieselbe: wie gehe ich mit dem Risiko um? Verschließe ich die Augen und denke „wird schon gut gehen“ – um im Ernstfall hektisch agierend zum Feuerlöscher greifen zu müssen? Oder beschäftige ich mich zielgerichtet mit möglichen Risiken, um Vorkehrungen für den Ernstfall zu treffen?
Globale Krisen: Auswirkungen verstanden?
Eigentlich hätten Politik und Wirtschaft aus der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise (nach der Pleite von Lehman Brothers 2008/2009 in den USA) lernen können und müssen; nämlich, welch' drastische Auswirkungen solch ein globales Ereignis auf die zunehmenden, weltweiten Verflechtungen von Geschäftsbeziehungen mit sich bringt.
Etwa zehn Jahre später ist unser Geldsystem mit einem Leitzins von null Prozent und Negativzinsen auf Guthaben zwar auf den Kopf gestellt, aber ansonsten läuft es vordergründig ja irgendwie. Zumindest hat man sich damit arrangiert. Den Finanzministern auf großen Schuldenbergen kam die Umkehr des Geldsystems ganz zupass, mussten sie doch viel geringere Ausgaben für die Zinsen der Schulden einplanen.
Und wenn wir aus Krisen NICHTS lernen?!
Aber dann kam Corona. Was noch Anfang 2020 vielerorts als „lokales chinesisches Ereignis“ abgetan wurde, breitete sich rasend schnell als Flächenbrand weltweit aus. Und aus Lehman haben wir anscheinend NICHTS gelernt.
Wieder trifft es neben den Menschen die Wirtschaft und insbesondere die weltweiten Lieferketten. Lockdowns und Insolvenzen all überall verzögern den Warenverkehr, an „Just-in-Time“ muss man gar nicht erst denken. In Chinas Häfen stapeln sich Container, die dringend anderenorts auf der Welt benötigt werden, selbst krisen-unverdächtige Branchen, wie Fahrradhersteller, haben auch aufgrund steigender Nachfrage erhebliche Engpässe. Und in einer Zeit, in der Themen wie E-Autos, autonomes Fahren oder Smart Home gehypt werden, werden Unmengen an Chips benötigt, die jedoch nicht in ausreichenden Mengen lieferbar sind.
Drastisch wird uns vor Augen geführt, dass die zunehmenden Verflechtungen internationaler Geschäftsbeziehungen nicht nur Chancen für neue Märkte und neue Produkte bieten, sondern auch eklatante Risiken bergen, die durch derartig umfassende Krisen von heute auf morgen akut werden können.
Reporting ist wichtig – Risikomanagement ist wichtiger!
Viele Firmen – vor allem internationale Konzerne – haben seit langem ein fundiertes Risiko-Reporting aufgebaut, um durch Frühwarnsysteme Risiken erkennen und geeignete Maßnahmen einleiten zu können. Handlungsbedarf hinsichtlich eines pro-aktiven Risikomanagements besteht jedoch ebenso bei mittleren und größeren Unternehmen des Mittelstandes; besonders bei der ‚Spannbreite’ des Risikomanagement-Prozesses – und vor allem bei einer aktiven Rolle des Einkaufs in diesem Prozess.
Die Herausforderung besteht darin, Risiken der Lieferkette so frühzeitig zu identifizieren, zu bewerten und zu bewältigen, dass der Erfolg am Markt und der Bestand des Unternehmens nicht gefährdet werden.
Wenn das monatliche Actual, die Zahlen des Controllings auf dem Tisch liegen, ist es meist viel zu spät für pro-aktive Maßnahmen. Hektisches Agieren beginnt und überstürzte Aktionen werden eingeleitet, um wenigstens sicherzustellen, dass sich aus dem anfänglichen Krisenfeuer kein Flächenbrand entwickelt. Dies bedeutet jedoch lediglich Schadensbegrenzung. Gefordert ist ein vorausschauendes Risikomanagement mit frühzeitigem Einbeziehen des Einkaufs.
Risikomanagement ohne Einkauf ist unvollständig
Meist umfasst ein Risikomanagement vor allem die Funktionen Entwicklung, Produktion, Vertrieb und Kundenservice. Das ist verständlich und richtig, da schnelle technologische Veränderungen, Abhängigkeiten von wenigen wichtigen Kunden und Kapitalgebern, sowie rasante Veränderungen bei Wettbewerbern, hohes Risikopotential bergen; der Risikoumfang ist damit deutlich höher geworden. Bei hohen Materialkosten in einem Unternehmen ist es jedoch augenscheinlich, dass der Einkauf ein unverzichtbares Instrumentarium ist, um Risikomanagement im Sinne von Prophylaxe zu komplettieren.
Der Einkauf muss zum frühestmöglichen Zeitpunkt in die Budget-, Beschaffungs- und Produktentstehungsprozesse eingebunden werden. Nur so ist er in der Lage, in Abstimmung mit den Fachbereichen und aufgrund geplanter Bedarfszahlen, geeignete und zuverlässige Lieferanten bzw. Alternativen zu finden und zu qualifizieren.
Für den Einkauf sind geeignete Frühindikatoren z.B.
- Änderungen der Erfordernisse oder der Bedarfszeitpunkte
- strategische Neuausrichtungen der Produkte und am Markt
- sowie Änderungen in gesetzlichen Vorschriften oder Normen.
All' dies sind fundamental wichtige Informationen. Im Einkauf selbst sind ein strategisches Lieferantenmanagement und ein Warengruppenmanagement notwendig, einschließlich einer kontinuierlichen Lieferantenbewertung. Dieses sollte durch ein umfassendes Einkaufscontrolling ergänzt werden, welches zeitnah wichtigen Input liefert.
Wesentliche Risiken auf der Lieferantenseite sind:
- Lieferanteninsolvenz, Firmenübernahmen
- Versorgungssicherheit
- Reputationsverluste durch soziale und ökologische Mängel in der Lieferantenproduktion
- Entwicklungsrisiken und Verzögerungen der Produktbereitstellung
- Single Sourcing
- Transportrisiken bei globalen Lieferanten
- Währungsschwankungen
Statische und dynamische Elemente der Risikobewertung:
- Bewertung der Lieferanten-Firma (allgemeine Informationen, Verträge, Innovation, Produktion, Nachhaltigkeit, Qualitätswesen, Konkurrenz, Transportrisiko etc.)
- Bewertung der Produkte (Qualität, Patente, Substituierbarkeit, Fertigungstiefe, Unterlieferanten etc.)
- Permanente Lieferantenbewertung nach gewichteten, objektiven und subjektiven Kriterien
- Finanzbewertung (Eigenkapitalquote, Umsatzrentabilität, Liquiditätsgrad etc.)
Wichtig sind hier objektive Kriterien und messbare Größen wie Lieferantenzuverlässigkeit, Ausfall- und Reparaturquoten, sowie die genannten Finanzzahlen.
Um die Risikobewertung zu komplettieren, sind jedoch auch subjektive Größen heranzuziehen, da sie Indikatoren für bestehende oder aufkommende Probleme sind. Beispielhaft seien hier genannt:
- Stimmung im Betrieb des Lieferanten
- Streichung von Urlaubsgeld oder Boni
- Einschränkungen bei Dienstreisen, Firmenwagen oder Incentives
- Kurzarbeit, Entlassungen, Schließung von Standorten
- Übernahmegerüchte
- Unübliche Forderungen nach Vorauszahlungen
- Häufiger Wechsel in Führungsfunktionen
Ein Einkäufer mit guter Kenntnis seines Lieferanten kann diese Informationen in Erfahrung bringen und auch richtig einschätzen, sei es durch engen Lieferantenkontakt oder durch Informationsquellen wie dem Internet.
Erst mit dem Einkauf ist das Risikomanagement komplett
Das Frühwarnsystem eines professionellen und umfassenden Risikomanagements versetzt das Unternehmen insgesamt in die Lage, rechtzeitig geeignete Vorsorge zu treffen, um eine Krise gar nicht erst entstehen zu lassen, oder um ihre Wirkung deutlich abzuschwächen. Das kann z.B. bedeuten, sich von bestehenden Lieferanten zu trennen, aber auch in Partnerschaft und guter Kommunikation mit dem betreffenden Lieferanten Lösungen und Strategien zu entwickeln, um gemeinsam der Krise zu begegnen und den Erfolg beider Firmen abzusichern.
Quellen:
https://www.sueddeutsche.de/auto/fahrradhandel-engpaesse-lieferzeiten-1.5202697
Über den Autor
Michael Starz ist Betriebswirt (VWA), freiberuflicher Unternehmensberater und Geschäftsführer der VBU Akademie und von ms pro:con Consulting, einer auf Beschaffung und Betriebswirtschaft spezialisierten Unternehmensberatung. Zudem ist er Partner und Ehrenrat im VBU, dem Verbund beratender Unternehmer.
Michael Starz | Erlenweg 11 | 71711 Murr
Tel: +49 (0) 7144 / 8960 993
Fax: +49 (0) 7144 / 260 546
Mail:
Web: www.ms-procon.com
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Kommentare 1
Dass es für den steigenden Energiebedarf gar nicht ausreichend Chips gäbe, Stichwort Lieferengpässe, ist ein wichtiger Aspekt in diesem so pointiert faktenreichen Beitrag. Ich möchte noch etwas weitergehen resp. ergänzen: Was meines Erachtens politisch-gesellschaftlich unzureichend thematisiert wird, ist die stetig weiteraufgehende Schere zwischen unaufhörlichem Energiebedarf und den dafür zur Verfügung stehenden Ressourcen. Im Beitrag sind Smart-Home, E-Autos, autonomes Fahren bereits aufgeführt; ich möchte hinzufügen: Smartphones, Laptops nicht zu vergessen.; die Zahl derer, die ihr vermeintlich überlebensnotwendiges Smartphone 27 / 7 aktiviert haben (bis auf die erforderlichen Aufladezeiten natürlich), steigt unaufhörlich. Und woher kommt dann die Energie für alle diese Verbrauchsanforderungen?
Zuerst zum angeblich so sauberen Elektrobusiness: Gerade die E-Mobilität wird politisch derzeit als das umweltfreundliche Konzept gehypt. Was aber ist mit Anfang und Ende der Gewinnungs- und Entsorgungskette? Lithium wird unter menschenverachtenden Bedingungen geschürft, ganze indigene Stämme etwas werden ihrer Lebensgrundlage beraubt; am unrühmlichen Kettenende dann sammeln auf Müllhalden auf dem afrikanischen Kontinent Kinder aus den ärmsten Bevölkerungsschichten die Altbatterien für kleine Geschäfte ein; dass diese Kinder maximal junges Erwachsenenalter erreichen werden, dürfte ersichtlich sein. Diese Rahmenbedingungen werden in der Regel nur in anspruchsvollen Kultursendungen thematisiert, der breiten Bevölkerung eher unbekannt.
Zurück zur Frage: Woher soll dann die Energie für all‘ die Elektromobilität kommen, derweil in Bälde Verbrenner und Dieselfahrzeuge von der Straße genommen, bis 2038 sämtliche Kohlegewinnung abgestellt und Atomkraft sukzessive abgestellt werden sollen?! Wohlgemerkt: ich bin kein Verfechter dieser Energien, aber es sei doch bitte ein wenig die menschliche Vernunft gefragt, die (man sollte es meinen) in systemischen Kontexten denken kann. Kommt hinzu, dass auch die Alternativenergien, genauer gesagt deren Gewinnung, keineswegs auf begeisterte Zustimmung allerorten stößt! Man denke nur an die erbitterten Proteste gegen Windparks. Und es ist nun mal nicht jeder Häuslebesitzer, der sich eine eigene Solaranlage aufs Dach bauen kann. Unsere Nachbarn, Polen, Frankreich usw. denken gar nicht daran, die „klassischen“ Energien herunterzufahren; werden wir also in Bälde dort anklopfen?