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Industrie 4.0 im Reich der Mitte

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China steht in der Breite erst am Anfang von dem, was die Umsetzung von Industrie 4.0 & „Smart Factory“ bedeutet. Doch schon mehr als jedes zweite chinesische Industrieunternehmen hat das Themenfeld "Industrie 4.0 und die intelligente Fabrik" auf der Agenda (Staufen Studie).

Wirtschaft am Wendepunkt - "adapt or die"

Nach Ansicht von He Chuanqi (Director of the Centre for Modernization Research, Chinese Academy of Social Science) ist die Transformation der chinesischen Wirtschaft im Hinblick auf industrielle Zukunftstechnologien „alternativlos“. Es geht für China gewissermaßen um alles oder nichts. Nur wenn es China gelingt, eine globale Führungsrolle im Bereich neuer Technologie-entwicklungen einzunehmen, können die Innovationen und Patente der neuen industriellen Revolution hervorgebracht werden, um ein nachhaltiges Fortschreiben des "Chinesischen Wirtschaftswunders“ zu schaffen. Gelingt es China hingegen nicht, auf dem Feld der Zukunftstechnologien weiter voranzukommen, läuft man Gefahr, zwischen die Mühlsteine der etablierten Industrienationen einerseits und kostengünstigeren Industriestandorten (insbesondere an der Peripherie Chinas) andererseits zu geraten.

 

Industrie 4.0 soll Chinas Sprungbrett sein - „Made in China 2025“

Seit die Hannover Messe 2013 die IT-gestützte Weiterentwicklung der industriellen Produktion und damit die zunehmende Vernetzung aller Industrie-Bereiche in den Mittelpunkt gestellt hat, scheint das „deutsche Konzept Industrie 4.0“ auch in China in aller Munde zu sein. Man sieht hier die Chance, in Zusammenarbeit mit Deutschland und deutschen Unternehmen den Sprung von der Billiglohnfertigung zur "intelligente Produktion" in wenigen Jahren zu schaffen.

Das deutsche Referenzmodell der „Industrie 4.0“ ist dabei eines der zentralen Elemente des staatlichen Förder- und Aufwertungsplans "Made in China 2025", der ähnlich der Fünfjahrespläne einen konkreten Leitfaden für Chinas industrielle Aufholjagd liefert und die Digitalisierung der Industrie ganz oben auf die Agenda setzt. Im Mittelpunkt der „Made in China 2025“-Strategie stehen die:

    • Informations- und Automatisierungstechnologien
    • Luft- und Raumfahrtindustrie
    • Elektromobilität
    • Stromnetze
    • Neue Materialien
    • Biopharmazeutische Industriezweige

mit dem Ziel, China nachhaltig als „Industriemacht“ zu etablieren. Durch den Übergang zu einer innovationsgetriebenen Industrie, zu Effizienz und Qualität, umweltfreundlicher Produktion, Dienstleistungsorientierung und einer konsequenter Umsetzung der Prämissen der „Industrie 4.0“ könnten so die Produktivität um 25% - 30% gesteigert und unvorhergesehene Produktionsausfälle um 60% reduziert werden (中国版“工业4.0”的战略意义和对策建议).

Industrie 4.0: China ist im Rückstand, noch!

Eine Blick auf den Ist-Zustand zeigt: Noch steckt China als Ganzes eher in den Kinderschuhen eines „Industrie 4.0 Szenarios“. Das Land ist vielfach erst auf dem Weg von der Industrie 2.0 (manueller Produktion/Fertigung) zur Industrie 3.0, was der mittlerweile weltweit größte Absatzmarkt für Industrieroboter eindrücklich belegt (so werden voraussichtlich 2017 die meisten Industrieroboter in China eingesetzt, IFR).

China plant seine industrielle Entwicklung langfristig und ambitioniert. Bis dato hat zwar nur etwa jede zehnte Firma den Entwicklungspfad hin zur internetgestützten Echtzeit-Vernetzung von Objekten, Maschinen und Menschen bereits mit konkreten, operativen Projekten aufgenommen. Aber die intelligente Fabrik ist bereits bei 37% der chinesischen Unternehmen in der Beobachtungs- und Analysephase und weitere 9% planen und testen in diese Richtung (Staufen Studie).

Wie schnell man allerdings in der Lage sein wird, den Rückstand im Sinne einer Vernetzung möglichst aller Instanzen gegenüber den führenden Industrienationen aufzuholen, darüber wird, wie über die allgemeine zukünftige Entwicklung Chinas, kontrovers diskutiert. Während die Pessimisten China erst im Jahr 2100 auf Augenhöhe mit den „westlichen“ Industrienationen sehen, ist man gemäß einer Studie der Chinesischen Akademie für Ingenieurswissenschaft (CAE, 中国工程院) bis zum Jahr 2045 in der Lage, mit den USA, Deutschland und Japan als fortschrittlichen Industrieproduzenten gleichzuziehen.

China und Industrie 4.0 – Chance & Risiko für deutsche Unternehmen

Eine deutliche Mehrheit der deutschen Unternehmen (86%) anerkennt die Chancen der Digitalisierung für den Industriestandort Deutschland, verhält sich aber bzgl. der Umsetzung von „Industrie 4.0“ Projekten eher abwartend. Für den Mittelstand hingegen, räumen 63% der Befragten selbstkritisch ein, dass das Thema „Industrie 4.0“ derzeit eher noch vernachlässigt wird, obwohl sich zwei Drittel dieser Unternehmen in Märkten bewegen, die durch einen starken Verdrängungswettbewerb und immer kürzere Produkt- und Innovationszyklen geprägt sind. (Handelsblatt/Commerzbank)

Mit Blickrichtung China & „Industrie 4.0“ führt dies zu einer Reihe von Implikationen und Fragestellungen:

    • Die Nachfrage aus China bietet deutschen Anbietern von „Industrie 4.0“ Produkten und Lösungen grundsätzlich eine Reihe guter Absatzmöglichkeiten. Aber!: Das Zeitfenster hierfür ist limitiert. Sowie die chinesischen Unternehmen die Technologielücke schließen, ist mit einem heftigen Verdrängungswettbewerb zu rechnen. Wie sind Sie für einen solchen Wettbewerb aufgestellt?
    • Eine mögliche Zusammenarbeit mit China wird die chinesischen Wettbewerber stärken. Aber!: Chinas Industrie wird sich in jedem Fall digitalisieren, wenn nicht mit deutscher Hilfe, dann mit den Produkten internationaler Anbieter und zunehmend auch eigenen Lösungen! Haben Sie sich schon einmal Gedanken darüber gemacht, wie Sie mit einem auf „Industrie 4.0“ basierenden Geschäftsmodell einen Vorteil gegenüber chinesischen Wettbewerben erlangen? Reichen Ihre Anstrengungen auf dem Gebiet der „Industrie 4.0“ aus, wenn Sie nachhaltig an den sich zunehmend digitalisierenden „chinesischen Wertschöpfungsketten“ partizipieren wollen?
    • Eine Studie des Fraunhofer IAO zeigt, dass zwischen 2013 und 2015 auf dem Feld der „Industrie 4.0“ über 2500 Patente in China angemeldet wurden (vgl. USA 1065 ; Deutschland mit 441). Schutzrechte, die auf dieser Basis definiert werden, zwingen deutsche Technologieanbieter, sich zukünftig daran zu orientieren!
    • Kooperationen auf dem Gebiet der „Industrie 4.0“ sind insbesondere für einen Mittelständler nicht ohne Risiken: Je digitalisierter die Produktionsprozesse werden, umso bedeutender ist es, hierfür die erforderlichen Rahmenbedingungen zu schaffen. Risiken wie die Zugangskontrolle zu Herstellungsprozessen, Wirtschaftsspionage, Cyber-Kriminalität und die staatliche Datenkontrolle als Instrument protektionistischer Industriepolitik müssen genauestens evaluiert werden.
Interessant: Chinesische Manager sehen schon in den kommenden fünf Jahren tiefgreifende Veränderungen auf ihre Unternehmen zukommen. 80% der Unternehmen sind davon überzeugt, dass sich ihre Geschäftsmodelle und die Mitarbeiterstruktur durch das Thema „Industrie 4.0“ signifikant verändern werden (etwa gleich viele erwarten einen wirtschaftlichen Erfolg und Wandel in ihren F&E Aktivitäten).

In Deutschland rechnen nur 50% der Unternehmen damit, dass sich in den kommenden Jahren das eigene Geschäftsmodell und die Zusammensetzung der Belegschaft durch „Industrie 4.0“ spürbar verändern werden (Staufen Studie; Handelsblatt/Commerzbank)

Fazit: "adapt or die!" für wen?

Chinas Technologierückstand als Ist-Zustand sollte jedoch nicht den Blick in die Zukunft im Sinne eines gesicherten westlichen Vorsprungs verschleiern. Steigt der Leidensdruck eines sich verlangsamenden BIP-Wachstums und damit der „Zwang“ einer wirtschaftlichen Transformation, so können in China neue Technologien und Technologieführer im Sinne des „Leapfroggings“ in kürzester Zeit entstehen. China braucht dabei nicht zwingend eine Digitalisierung in der Breite. Schon einige „nationale chinesische Champions“ reichen aus, um sowohl auf dem chinesischen Markt, als auch auf den internationalen Märkten einen empfindlichen Wettbewerbsdruck zu erzeugen.

Eine Auseinandersetzung mit dem Thema „Industrie 4.0“ im Hinblick auf eine internationale Dimension scheint für den Mittelstand dringend geboten. Sonst könnte es sehr schnell für uns heißen: "adapt or die!"

Dirk Müller
Partner im VBU


Zum Autor: Dirk Müller (MBA, Dipl.-Pol.)
Partner im VBU-Kompetenzteam Mittelstand International (Fokus China)
incorepro-consultingincorepro-consulting: Internationalisierung Fokus China

Der Autor bewegt sich seit vielen Jahren zwischen den Kulturen. Verheiratet mit einer Chinesin, heißt täglich gelebte interkulturelle Kompetenz. Im Fokus seiner Beratungstätigkeit stehen Markt- & Trendanalysen China-Radar, Marketing-Strategie sowie die Projektbegleitung vor Ort in China.

Foto ©Dirk Müller 2015 
 



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