Beratung und Schulung unabhängig von Zeit und Ort: was früher Wunschdenken war, ist heute Realität. Aber kann Online-Coaching und -Training wirklich die Präsenzleistung ersetzen? Und wie nehmen Firmen und Einzelklienten das Angebot an? Zwei Expertinnen, Ann-Katrin Hardenberg (Organisations- und Personalentwicklerin) und Antonia Anderland (Organisationsberaterin und Business Coach), sprechen über ihre Erfahrungen.
Online-Coaching und -Training in der internationalen Praxis
AA: Frau Hardenberg, Sie sind seit Jahren auf internationalem Parkett in Coaching und Training aktiv. Was ist für Sie das Beeindruckendste in Ihrer Arbeit für außereuropäische Klienten? Sie bauen ja u.a. Trainingscenter in Haiti und ähnlichen weniger entwickelten Ländern in Lateinamerika und Afrika auf.
AH: Mich berührt immer wieder, wie leicht und schnell sich Communities der Online-Kommunikation öffnen! Und wie rasch Fortschritte zu beobachten sind, gerade wenn vor Ort buchstäblich bei Null anzufangen ist, z.B. beim Aufbau eines Learning Centers.
AA: Beide verwenden wir digitale Tools zur Kommunikation mit unseren Klienten. Ist Online-Coaching und -Training Ihrer Meinung nach der Präsenzvariante ebenbürtig?
AH: Die beiden Formen haben ihre Vor- und Nachteile. Zum Beispiel ist es online schwieriger, ganze Gruppen bei der Stange zu halten. Interaktives fällt leichter in der Präsenzsituation. Aber ein riesiger Vorteil des Online-Coaching ist die Unabhängigkeit von Zeit und Ort. Viele meiner Kunden können nur übers Internet mit mir kommunizieren, weil ihr Standort weitab von Deutschland ist.
Reaktion auf Online-Tools: Reserve und Begeisterung
AA: Einen Mix aus beiden Formen sehe ich als vorteilhaft an. Meine Klienten reisen viel und haben so volle Kalender, dass werktags ein Termin beim Coach mit An-und Abreise kaum machbar scheint. Gerade die internetaffinen schätzen es, wenn sie ihren Coach oder Berater über die Ferne erreichen können, per Telefon oder Internet. Für diesen Kundentyp ist digitale Kommunikation allerdings schon alltäglich geworden. Wer daran weniger gewöhnt ist, tut sich anfangs schwerer. Wie ist da Ihre Erfahrung?
AH: Viele außereuropäische Klienten in Ländern wie Haiti erlebe ich als zwar nicht gewöhnt an digitales Lernen, aber ungeheuer motiviert, sich mit der Technik vertraut zu machen. Internationales Zusammenarbeiten wird generell hoch bewertet, und beispielsweise Video-Coaching und -Training wird begeistert angenommen – sofern die Internetverbindung stabil ist. Wie sieht es denn in Deutschland aus?
AA: Nach meiner Erfahrung ziehen viele klassische Firmen Präsenzveranstaltungen allen E-Coachings und Fernschulungen vor. Eine Ausnahme können junge Startups und die IT- und Elektronikbranche darstellen. Und natürlich Klienten, die Coaching außerhalb gängiger Geschäftszeiten und überregional nutzen wollen (im „Dreiländereck“ Bodensee ist das deutlich spürbar).
Online-Coaching und -Beratung: der Mix macht‘s
AH: Vertriebsmitarbeiter erlebe ich gleichfalls als offen für E-Beratung, sicher dank der oft von ihnen geforderten Mobilität. Ich führe etwa 50:50 Online- und Präsenzmaßnahmen durch. Allerdings fragen viele Kunden Online-Dienste noch nicht von sich aus nach, oft muss ich elektronische Kanäle mit ihren Möglichkeiten erst nahebringen.
AA: In der Projektarbeit hat ein „Blended Coaching“ oder andere Mixformen aus Präsenz und digitalem Austausch nur Vorteile, finde ich. Es ist bei großen Projekten extrem aufwändig, regelmäßig alle Mitarbeiter (die sowieso unter der Zahl der Meetings stöhnen) zur selben Zeit am selben Ort zusammentreffen zu lassen. Virtuelle Treffen kombiniert mit einem digitalen Dokumentenspeicher und der Möglichkeit zur Online-Interaktion zwischen den Treffen sind einfach eine Arbeitserleichterung!
AH: Ja, und ich mag auch das Flexible und Individuelle der virtuellen Arbeit miteinander, gerade in Gruppen. Man kann ganz schnell Meetings aufsetzen, und persönliche Bedürfnisse von Teilnehmern können leicht umgesetzt werden. Ich habe z.B. öfter mit fälligen Rollenklärungen im Team zu tun. Solche Dinge müssen sich entwickeln, und die digitalen Tools, mit denen ich arbeite, helfen, Entwicklungsschritte zu speichern und gemeinsam weiterzugehen, auf sehr interaktive Weise.
Annäherung über digitale Testräume
AA: Die Vorteile dieser Arbeitsweise lassen sich aber sicher nur praktisch erleben. Ich meine, es sollte mehr Demos dafür geben, unkompliziert betretbare digitale Testräume, in denen man sich umschauen und überlegen kann, ob sie sich für die eigenen Themen und Aufgaben eignen.
AH: Ein Weg dahin sind auch Webinare. Im VBU bieten wir zunehmend Veranstaltungen dazu an, beispielsweise Themen um Berater, Trainer und Coaches zur digitalen Kommunikation und Arbeitsweise zu befähigen.
AA: So wie Unternehmen für Ihre Teams oder Akademien für Trainingsteilnehmer, so können auch Coaching-Klienten an zunehmend mehr Orten Tools für den Online-Dialog einmal ausprobieren. Uns ist es ja einfach selber einmal so gegangen: bevor wir an die Technik und die entsprechenden Settings gewöhnt waren, fanden wir sicher manches auch erst einmal sperrig.
AH: Stimmt - aber ich bin mittlerweile davon überzeugt, dass die Durststrecke der Gewöhnung an elektronische Kommunikation sich lohnt, auch im Bereich von Training, Coaching und Beratung. Auch das ist eine Facette von Digitalisierung, die zu diesem Bereich auch zu einer Selbstverständlichkeit werden sollte!
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Profil Ann-Katrin Hardenberg: Personal- und Organisationsentwicklerin mit Schwerpunkt kleine bis mittelständische Unternehmen
Profil Antonia Anderland: Organisationsberaterin, Coach und Mediatorin mit Schwerpunkt Change- und Konfliktmanagement.
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